Meine erste Ausbildung war die zur Großhandelskauffrau. Mit der Rewe Zentral AG hatte ich damals einen hervorragenden Ausbildungsbetrieb. In diesem Unternehmen hat man damals (1986) sehr viel Zeit und Ressourcen investiert, um den Azubis eine ausgezeichnete Ausbildung zu bieten.
Nichts wurde dem Zufall überlassen. Es gab einen genauen Fahrplan mit dem sichergestellt wurde, dass in der Ausbildung jede Abteilung in der Unternehmenszentrale durchlaufen wurde. War die Zeit in einer Abteilung abgelaufen, gab es immer ein Beurteilungsgespräch, dass auch schriftlich festgehalten wurde. Dazu gab es genormte Beurteilungsbögen, um das ganze vergleichbar zu machen.
Es gab zusätzlich zur Berufsschule Unterricht im Unternehmen. Legendär waren die Ausflüge, die heute wahrscheinlich für Teenager nicht mehr als angebracht angesehen würden. Wir besuchten Schnapsbrennereien und Winzergenossenschaften, natürlich mit Verkostung der Produkte. Das himmlische Moseltröpfchen ist mir besonders gut in Erinnerung geblieben…ich bin echt froh, dass es damals noch kein Social Media gab. 😊
Wir hatten viel Spaß und es war eine sehr schöne Gemeinschaft unter den Azubis. Aber es herrschte auch ein strenges Regiment. Montags um 08:00 Uhr hatte das - natürlich mit der Hand geschriebene - Berichtsheft dem Ausbilder vorzuliegen. Für den Fall, das man es vergessen hat, hörte man um 08:05 eine Lautsprecherdurchsage: „Pia Tischer bitte sofort ins Ausbildungsbüro“. (Mir ist das nur einmal passiert, ich schwöre). Denn man erhielt eine Standpauke, die man nicht ein zweites Mal erleben wollte. Außerdem hatte JEDER die Durchsage gehört und jeder wusste, dass man ordentlich zusammengefaltet wurde. Naja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Generell wurden sehr gute Leistungen im Betrieb und in der Schule erwartet. Ziel war es immer die Prüfung vorzuziehen und maximal 2,5 Jahre für die Ausbildung zu investieren. Dafür gab es sehr gute Unterstützung durch den Ausbilder. Auch in den Abteilungen waren die Azubis immer willkommen. Ganz nach dem Prinzip: Fördern und Fordern. Mir hat das sehr gut gefallen.
Bis auf die Weinproben und die Lautsprecherdurchsagen habe ich vieles für die Azubis, die ich in meinem Unternehmen ausgebildet habe, übernommen.
Was ich aber wirklich Entscheidendes für mein Leben gelernt habe, trug sich an einen Nachmittag im Büro des Geschäftsführers zu.
Eine Kollegin nahm mich (die Azubine) mit in die durch eine Glastür vom übrigen Korridor abgetrennte Geschäftsführeretage mit den dicken Teppichen und den Mahagonischreibtischen. Der Geschäftsführer erkundigte sich nach dem Stand eines für ihn und das Unternehmen scheinbar wichtiges Projekt. Das Gespräch kippte seitens der Kollegin schnell in ein „Jammern“. Sie habe keine Zeit sich darum zu kümmern, denn sie habe zu viel zu tun.
Der Geschäftsführer hörte sich die Ausführungen an und erzählte die folgende Geschichte: „Ein Wanderer trifft in einem Wald auf zwei Holzfäller, die mühsam versuchen einen Baum abzusägen. Sie sind schon schweißüberströmt, schieben die Säge wie wild hin und her. Kommen aber kaum voran. Der Wanderer erkennt, dass die Säge stumpf ist und sagt. “Liebe Leute, Eure Säge ist ja ganz stumpf. Warum schärft Ihr Sie denn nicht?” Darauf antworten die Arbeiter wie aus einem Mund: “Dafür habe ich keine Zeit, ich muss doch den Baum fällen…!”
Er sah uns an und sagte: Gehen Sie Ihre Säge schärfen und kommen Sie nächste Woche mit den Ergebnissen zu mir.
Bämm, das war beindruckend und hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Immer wenn ich mich jetzt ertappe, wie ich mit einer stumpfen Säge hantiere, nehme ich mir Zeit fürs Schärfen. Am besten man wartet erst gar nicht bis die Säge stumpf ist, sondern schärft sie regelmäßig.
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